Kriege in Osteuropa


Freitag, 17. Januar 2020

Bild oben: Belagerung

Situation zu Beginn der 2. Phase

 

Im ersten Teil unserer Serie haben wir die Eroberung eines Großteils des Livlands (in etwa das moderne Estland und Lettland) durch das Russische Reich verfolgt, das Namensgeber dieses Krieges ist. Einer der Hauptgründe für die Auseinandersetzung ist in dem dringenden Wunsch Rußlands zu sehen, sich einen Zugang (Hafen) zur Ostsee zu gewinnen. Ehe Rußland das ganze, unter seinen Schlägen zerbröckelnde Livland besetzen kann, melden sich rasch die anderen Ostsee-Mächte zur Stelle, denen die neue Konkurrenz nicht behagt. Die Hanse spielt politisch keine allzu große Rolle mehr, aber Schweden, Dänemark, Polen und vor allem das Großfürstentum Litauen. Zu Rußlands Glück kriegen sich zunächst Dänemark und Schweden – wieder einmal – in die Haare (1563-70; wir haben uns bereits mit der Schlacht bei Axtorna, 1565, beschäftigt). Schweden wird erst danach gegen Rußland aktiv, und Dänemark hält sich dann weitgehend aus allem heraus. Polen mischt sich erst zum Schluß ein.

 

Bild links: Russische Reiterei und Strelitzen im Angriff

 

Großfürstentum Litauen

 

Litauen ist eine der russischen Mächte, die sich mit Moskau um die Herrschaft über das restliche Rußland streiten, und eigentlich sind spätestens ab Beginn des 16. Jahrhunderts nur noch diese beiden in dem Ringen übrig. Litauen hat sich seit Anfang des 14. Jahrhunderts enorm ausgedehnt und besteht nicht mehr nur aus dem eigentlichen Litauen, sondern hat auch das heutige Weißrußland, das Weite Feld (die heutige Ukraine) östlich des Dnjepr (selbiger Fluß fließt von Nord nach Süd), Wolhynien und diverse andere Gebiete in seinen Besitz gebracht. Wenn man weiß, daß das heutige Rußland bis Ende des 19. Jahrhunderts auch Ost-Rußland genannt wurde, dann ergibt auch die These einen Sinn, daß das „Weiß“ in Weißrußland auch „West“ bedeuten kann. Und so haben wir es dann nicht nur mit einem Kampf um ein Nachbargebiet zu tun, sondern mit einem waschechten Bürgerkrieg, und der wird, wie bei einem Bruderkrieg üblich, mit aller Heftigkeit geführt. Das Großherzogtum Litauen ist schon seit längerem mit dem Königreich Polen verbandelt, beide Länder werden in Personalunion regiert (der Throninhaber ist gleichzeitig König von Polen und Großherzog von Litauen). So entsendet Polen in dieser Kriegsphase Litauen Hilfstruppen (nur ein paar 1000) und kann über sein Vorland Krieg mit Rußland führen. 1569 schließen die beiden Mächte sich noch enger zusammen, zur Rzeczpospolita (polnisch für das Lateinische „res publica“, aus dem im Deutschen „Republik“ geworden ist), einer konstitutionellen Monarchie. Polen hat fortan das Sagen und Litauen das kürzere Ende der Wurst erwischt. Dieses Gebilde hält bis Ende des 18. Jahrhunderts, bis zur 3. Polnischen Teilung (Litauen wird da schon gar nicht mehr erwähnt).

 

Bild links: Zeitgenössische Artillerie

 

Stärkezahlen

 

Russische Ereignisse und Nachrichten erreichen in der frühen Neuzeit West- und Mitteleuropa über Polen, genauer gesagt, durch die polnische Brille. Ihr ist es zu verdanken, daß die Zahlen für russische Heere oftmals (nicht immer) maßlos aufgebläht sind und ihnen dann litauische und später polnische Armeen von ein paar tausend Mann gegenüberstehen und den Feind auch noch in die Flucht schlagen. In der modernen russischen Militärgeschichte setzt man sich gerade mit solchen Zahlen auseinander, und wir sind froh, durch unseren Unterstützer Nicolai Burlankow an den Ergebnissen teilhaben zu können Siehe für selbige und andere: (http://samlib.ru/b/burlankow_nikolaj_dmitriewich/)

 

 

Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen sei folgendes festgehalten: Der Livländische Orden hat lediglich 10 000 Mann zur Verfügung gehabt, Litauen kann auf 25 000 zählen, Polen auf 30-35 000, und Rußland stehen 60 000 Bewaffnete zur Verfügung. Allen gemeinsam ist, daß davon Garnisonen für Städte und Wehranlagen abgehen; Rußland führt aber nichts nur an seiner „Westfront“ (Litauen) Krieg, sondern muß seine Südflanke gegen Tataren und Türken schützen, wofür ein Großteil seines Heeres verwendet wird. Ein letztes Zahlenbeispiel: Zum Feldzug gegen Polotsk 1563, der vom Zaren persönlich durchgeführt wird, bringen die Russen 25 000 Mann auf. Und dieser Feldzug ist mit Abstand der größte des gesamten Livländischen Krieges.

 

Bild links: Und noch einmal eine Belagerung

 

Grenzkrieg

 

Wer sich mit dem Livländischen Krieg beschäftigt, dem fällt rasch auf, daß es, im Gegensatz zur 1. Phase, in der 2. kaum zu Schlachten kommt. Und selbst von denen sind die meisten kleinere Gefechte und Belagerungen. In Wahrheit findet der Krieg in den 60er Jahren zwischen den Gutsbesitzern Litauens und Rußlands statt, die mit ihrem Gefolge auf das Gebiet des feindlichen Nachbarn vordringen und dort alles kurz und klein schlagen. Jede Seite feiert dabei ihre eigenen Helden (die meist in richtigen Schlachten schmählich versagen). Manchmal sind es sogar ganze Armeen, die dort verheerend durchs Feindesland ziehen, also 1500-2000 Fußsoldaten und Reiter, eingeteilt in Regimenter oder andere Gruppierungen. Erreicht man nicht die Zahl 1000, unterbleibt eine Einteilung.

 

Bitte laßt euch nicht irritieren, wenn wir statt von Russen von Moskowitern sprechen. Dies geschieht zur besseren Unterscheidung zwischen „Ost-„ und „Westrussen“, und weil die Litauer ihre Nachbarn auch so genannt haben. Aus purer Boshaftigkeit (so etwas gibt es heute ja auch noch) hat man dort Iwan IV. den Zarentitel verweigert.

 

 

Beim nächsten Mal …

Wir haben während der Feiertage eine Reihe von Szenarien für einen solchen Grenzkrieg entwickelt und stellen diese in der nächsten Woche vor.