Großer Nordischer Krieg 1700 - 1721

Sonntag, 22. November 2015
Schlacht bei Gadebusch, 1712

Schlachtbericht

 

 

Wer hat recht?

Selbst heute, gut 300 Jahre nach der Schlacht bei Gadebusch, stößt man noch auf widersprüchliche Berichte. Ein Beispiel: Auf der deutschen Wikipedia-Seite zu diesem Gefecht lesen wir: „Die Sachsen waren gleich beim ersten Angriff geflüchtet und stellten damit den ganzen linken Flügel der Dänen bloß, wodurch die dänische Artillerie verloren ging.“ Sämtliche anderen uns vorliegende Quellen vermelden davon nichts, im Gegenteil, dort hat die sächsische Reiterei tapfer bis zum bitteren Ende mitgekämpft. Wir waren 1712 nicht dabei und müssen uns daher auf die Berichte anderer verlassen, die auch nicht immer Augenzeugen waren, sondern sich ebenfalls auf die Erzählungen anderer verlassen haben. Und die waren oft parteiisch. Wir haben kürzlich über die Schlacht bei Freiburg berichtet, und dort hat Condé, der französische Oberbefehlshaber, nach Ende der Kämpfe einfach frech seinen Sieg nach Paris gemeldet, eine so dreiste Lüge, daß selbst heute noch manche Historiker nur mit Vorsicht an Quellen über diese Schlacht herangehen.

 

Bild oben: Gesamtübersicht, links die Dänen (rot), rechts die Schweden (rot). Alle Figuren von STRELETS, ergänzt durch einige von ZVESDA.

 

 

Bild links:

Am schwedischen rechten Flügel wird Wakenstedt erobert, die dänische Kavallerie ergreift die Flucht, die dänische Infanterie kommt zu spät.

Unsere Quellen

Wenn wir also verschiedene sich widersprechende Texte vor uns liegen haben, verfahren wir ganz einfach: Wir richten uns nach der Mehrheit. Und in diesem Falle haben wir uns als Hauptgrundlage für unseren Bericht Martin Meiers „Der Stenbocksche Feldzug 1712/1713 – ein operationsgeschichtlicher Beitrag“ entschieden:

https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/files/6134/meier.pdf  



Es handelt sich hierbei um eine lesbare wissenschaftliche Arbeit, die sich nicht den modeaktuellen Zwängen von Frauengeschichte, Sozialgeschichte etc. unterwerfen will (wie der Autor in der Einleitung betont), was ihr auch gelingt. Unterstützend haben wir den englischsprachigen Wikipedia-Beitrag „Battle of Gadebusch“ herangezogen:

https://en.wikipedia.org/wiki/Battle_of_Gadebusch


Noch ein Hinweis: Papst Gregor XIII hatte im Jahr 1582 den bis dahin geltenden, auf Julius Caesar zurückgehenden julianischen Kalender reformiert. Das alte Kalenderjahr war nämlich um 11 Minuten zu kurz, und die hatten sich im Lauf der Jahrhunderte auf 10 Tage summiert. Gregor sprang 1582 im wesentlichen von einem Tag auf den anderen um 10 Tage vorwärts und verlängerte das Kalenderjahr um die fehlenden Minuten. Die protestantischen Länder waren selbstredend gegen alles, was ein katholischer Papst verordnete, und behielten den julianischen Kalender bei. So kommt es, daß, je nach Lager, die Daten um zehn Tage differieren. Wir bedienen uns des mittlerweile – fast - weltweit gültigen gregorianischen Kalenders.


Bild links: Im Zentrum dringen die Schweden dank ihrer überlegenen Ga-Pa-Taktik in die dichtgedrängten dänischen Linien ein. Die Dänen lassen sich immer weiter abdrängen und können sich nicht entfalten.

Vorgeschichte

Nachdem die Schweden 1709 bei Poltawa (heute Ukraine) eine katastrophale Niederlage gegen die Russen erlitten haben und die schwedische Hauptarmee dabei draufgegangen ist, sucht der schwedische König Karl XII dringend einen Ausweg. Er flieht ins Osmanische Reich und versucht, den Sultan dazu zu bewegen, gegen die Russen in den Krieg zu ziehen. Tatsächlich greifen die Türken auch ein, doch nachdem sie die russische Armee 1711 am Pruth (heute Rumänien) eingekesselt und zum Rückzug gezwungen haben, schließen sie mit Moskau Frieden und legen dem schwedischen König die Heimreise nahe. Noch im türkischen Exil versucht Karl XII. die Fäden wieder in die Hand zu bekommen. Das Ostsee-Reich der Schweden ist ernsthaft in Gefahr, die alten Gegner des Großen Nordischen Krieges, die Karl vorher allesamt besiegt hatte, erheben wieder das Haupt (Dänemark, Sachsen, ab 1715 gesellt sich auch Brandenburg-Preußen zu ihnen, von Rußland, das lange Jahre allein den Krieg gegen Schweden aufrechterhalten hat, ganz zu schweigen) und erobern Stück für Stück die deutschen Ostsee-Gebiete zurück. Bald befinden sich nur noch einzelne Orte in schwedischem Besitz.


Karl befiehlt einem seiner fähigsten Generale, Magnus Stenbock, mit einer Armee nach Pommern zu ziehen und die starke Festung Stralsund zu verstärken. Russen und Sachsen ziehen ihm jedoch von Osten entgegen, die Dänen marschieren vom (damals weitgehend dänischen) Holstein herunter. Stenbock erkennt, daß er es gegen die vielfach überlegene vereinigte Streitmacht der drei Reiche nicht aufnehmen kann, und beschließt, sie einzeln zu schlagen. Er macht kehrt, marschiert zunächst gegen die Dänen, und trifft im mecklenburgischen Gadebusch auf sie. Die Russen und Sachsen sind noch zu weit weg, um sich mit den Dänen zu vereinen, lediglich ein sächsisches Kavallerie-Korps trifft, gerade noch rechtzeitig, in Gadebusch ein. Und in der Folge gelingt Stenbock der letzte bedeutende schwedische Sieg des Großen Nordischen Krieges.



Bild links: Ausschnitt von den Kämpfen im Zentrum.


Schlacht

Stenbock nähert sich am 18. Dezember dem dänischen Lager bei Gadebusch auf 10-12 Kilometer. Die Dänen unter Jobst von Scholten ziehen sich jedoch am 19. Dezember auf Wakenstedt zurück (gehört heute zum Stadtgebiet von Gadebusch), wo sie günstigeres Terrain antreffen. Nach Einschätzung der Dänen können die Schweden nur aus einer Richtung kommen, und davor massieren sie ihre Truppen.



Die Schweden rücken am 20. Dezember mittags in folgender Aufstellung vor: 12 Bataillone (Btl.) Infanterie in 2 Treffen, dazu an den Flanken jeweils 6 weitere Btl. (insgesamt je 10 Kompanien). Zwischen ihnen beziehen 30 Geschütze Stellung. Die Schweden erkennen, daß sie nur mit einem Frontal-Angriff weiterkommen, wissen sich aber im Besitz von mehr Artillerie, die gegen einen so dicht hintereinandergedrängten Feind natürlich noch größere Vorteile hat.


Ihnen gegenüber im dänischen Zentrum stehen 4 Btl. Infanterie mit 12 Geschützen zu zwei Batterien (je 6 Kanonen) zusammengefaßt. Dahinter – schräg zum schwedischen Anmarsch – 8 Btl. Infanterie (mit 30 Kompanien) und zum Schluß noch ein Treffen Infanterie. Die Dänen sind also ungewöhnlich tief gestaffelt, was nicht unbedingt ein Vorteil sein muß, für gewöhnlich sind in diesen Zeiten lediglich 2 Treffen üblich. Die hinteren Soldaten lassen sich nur mit Zeitverlust einsetzen und sind somit kaum zu gebrauchen. Die Reiterei, eigentlich der bewegliche Teil einer Armee, ist eingeklemmt. Oberbefehlshaber Scholten hat die Geländevorteile nutzen wollen (links von seinem Aufmarsch der sumpfige Fluß Radegast, rechts davon Wald). Gegen Mittag trifft das sächsische Kavallerie-Korps ein.


Um 11 Uhr des 20. Dezember beginnen die schwedischen Kanonen dann auch, in die dänischen Massen hineinzufeuern. Um 13 Uhr gibt Stenbock den Angriffsbefehl, und unter dem anhaltenden Donner der eigenen Kanonen marschiert die schwedische Infanterie los, ohne einen Schuß abzugeben. Erst auf 12 Schritt Distanz zu den Dänen stoppt sie und legt an. Die Dänen sind in all der Zeit relativ passiv geblieben, höchstens daß sie auf viel zu große Entfernung die eine oder andere Salve abgegeben haben. Gemäß ihrer Ga-Pa-Taktik schießen die Schweden erst aus nächster Nähe mit allen Musketieren (also nicht nur einzelne Glieder) und erzielen mit ihrer Übermacht von 6 Bataillonen gegen 4 dänische (dicht gefolgt vom zweiten schwedischen Treffen) beim Feind natürlich eine verheerende Wirkung.


Bild links: Am schwedischen linken Flügel tobt die unentschiedene Reiterschlacht. Die dicht gestaffelten Dänen können ihre zahlenmäßige Überlegenheit nicht ausspielen.

Ein dänischer Kavallerieangriff an ihrem linken Flügel kommt gegen die schwedischen Kanonen und die dort stehende schwedische Infanterie nicht an.


Reiterei des schwedischen rechten Flügels löst sich von der Front und greift die dänische Kavallerie in der Flanke an, die sich daraufhin nach Wakenstedt zurückzieht. Schwedische Reiterei und Infanterie stoßen sofort nach und lassen die Dänen gar nicht erst zur Ruhe kommen. Diese werden im Verlauf der Schlacht dann auch fast völlig aufgerieben.


Inzwischen sind auch am anderen Flügel heftige Kämpfe im Gange. Dort stehen die dänischen Garde-Regimenter. Auch hier erweist sich die zu dichte Aufstellung als schwerer Nachteil, denn trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit können die Dänen sich nicht so recht entfalten. Der hier eingesetzten sächsischen Reiterei gelingt es nicht, in die schwedischen Reihen einzudringen. Die gesamte Dauer der Schlacht über kämpfen hier schwedische gegen sächsische und dänische Reiterei, letztere kommen nie dazu, sich auszubreiten.


Die dänische Infanterie muß schließlich erkennen, daß sie auf jegliche Unterstützung durch die eigene Reiterei verzichten muß, und fängt an zurückzuweichen. Schließlich kommt der Rückzugs-Befehl – Scholten hat seinen Fehler erkannt und will einige Kilometer weiter eine neue und günstigere Front errichten -, und die Dänen ziehen sich in guter Ordnung (heißt, nicht in wilder Flucht) zurück. Nach anderen Quellen stürzt sich Scholten, nachdem er seinen Fehler erkannt hat, persönlich in die Schlacht, wodurch die Dänen jegliche Orientierung verlieren und sich erst zurückfallen lassen und dann die Flucht ergreifen. In jedem Fall erleiden die Dänen schwere Verluste und müssen ihre Geschütze zurücklassen. Bei Einbruch der Dämmerung – es hat den ganzen Tag abwechselnd geschneit und geregnet - lösen sich beide Seiten endgültig voneinander. Aber auch die Schweden sind zu erschöpft, um die Verfolgung aufzunehmen.

 

Nach der Schlacht

Stenbocks Sieg bleibt ohne größere Folgen. Er hat die Feinde lediglich einige Tage aufgehalten, die drei verbündeten Armeen vereinigen sich, und er muß sich nach Schleswig-Holstein zurückziehen. Die Schweden verschanzen sich in der Festung Tönning im Fürstentum Gottorf Schleswig-Holstein (dem einzigen Verbündeten Schwedens von Anfang bis Ende des Großen Nordischen Krieges) und kapitulieren dort 1713.


Fast alle Quellen erwähnen den dänischen König Friedrich IV., der an der Spitze seiner Truppen mit nach Gadebusch marschiert sei. Wir erfahren aber nirgends etwas über sein dortiges Tun. Als König ist er seinem General gegenüber natürlich weisungsberechtigt und wird doch sicher die eine oder andere Anweisung gegeben haben. Das läßt sich kein gekröntes Haupt nehmen, auch wenn es noch so eine militärische Niete ist. Doch nichts davon steht in den zeitgenössischen Berichten.