Kleiner Nordischer Krieg 1655 - 1660

Montag, 1. September 2015

Bild links: Tataren locken Kosaken in einen Hinterhalt. Am Berghang lauern die schwereren Tataren, um sich auf die Kosaken zu stürzen. (Kosaken - rot - von ORION, MARS; Tataren - in blau - von MARS)


TAKTIK DER KRIM-TATAREN

 

Unsere Quelle

Wer in diesen Tagen mit Google nach „Tataren“ oder „Krim-Tataren“ sucht, glaubt sich mitten hinein in den Kalten Krieg versetzt. Fast alle Texte und Hinweise sind so einseitig, daß man sie für unsere Zwecke nicht benutzen kann. Da folgen wir lieber dem Bewährten, in diesem Falle „By Fire & Sword“, dem ins Englische übersetzten Begleitbuch zum gleichnamigen Spielsystem (ISBN 978-93932018-3-9 - am ehesten bei Spiele-Versendern erhältlich). Dazu Wikipedia-Seiten wie Krim-Tataren (https://de.wikipedia.org/wiki/Krimtataren), auch auf Englisch (etwas ausführlicher) https://en.wikipedia.org/wiki/Crimean_Tatars und nicht zu vergessen die ungemein interessante Seite „Muravsky Trail“ über den Weg, den die Krim-Tataren bei ihren Beutezügen genommen haben:

Bild links: Oben steht der Befehlshaber mit drei Roßschweifträgern zum Signalgeben.

Historische Einordnung

1237 begann die Eroberung weiter Teile Südrußlands und der heutigen Ukraine durch den Mongolensturm. Das Riesenreich aus Zentralasien wurde unter den Erben in mehrere Gebiete aufgeteilt, und über das für uns interessante Gebiet herrschte die „Goldene Horde“. Unter diesem Khanat erlebten Südrußland (der Norden wurde nicht erobert, aber tributpflichtig gemacht) und die Ukraine Unterdrückung und Versklavung, Rückgang der Wirtschaft und der Bevölkerung, politische und kulturelle Isolation (mehr als hundert Jahre lange wurden keine Steinhäuser mehr gebaut). In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts spalteten sich Stämme vom geschwächten Reich der Goldenen Horde ab und bildeten eigene Khanate, darunter das der Krim-Tataren und das der Nogaier.

Die Krim-Tataren waren zwar nicht in der Lage, neue Eroberungen durchzuführen, aber weiterhin Raubzüge in die Steppengebiete Rußlands und der Ukraine zu unternehmen. Beinahe jährlich kam es zu solchen Unternehmungen, in denen vornehmlich Sklaven verschleppt wurden. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (1783 gelangte die Krim unter russische Herrschaft) kam es nach vorsichtiger Schätzung zur Entführung von 3 Millionen „brauchbarer“ Menschen in die Sklaverei, die nicht zu verkaufenden wurden einfach erschlagen. Vermutlich sind aber doppelt so viele Menschen von den Tataren entführt worden. Somit blieben die betroffenen Gebiete, wie zuvor schon, in Unterentwicklung verhaftet. Erst ab Mitte des 16. Jahrhunderts kann von einer ernstzunehmenden Gegenwehr durch die Russen gesprochen werden. Es fällt nicht schwer zu verstehen, daß die Russen und die Kosaken (die Bewohner der Ukraine) kein größeres Interesse hatten, als diese Bedrohung endlich zu beseitigen. Wer es genauer wissen will, lese Berichte über die heutigen Überfälle von Terror-Banden in Nord-Nigeria. So ähnlich wie dort Dörfer entvölkert und ausradiert werden, dürfte es auch bei den Tataren-Angriffen zugegangen sein.

Bild links: Tataren täuschen Flucht vor und galoppieren davon. Kürassiere folgen ihnen, und im Galopp löst sich ihre Formation auf (alle Figuren von MARS; Tataren blau, Kürassiere rot)

Krim-Tataren und Osmanische Türken im Doppelpack

Das Khanat der Krim bildet sich Anfang der vierziger Jahre des 15. Jahrhunderts. Wir erinnern uns, 1453, also nur zehn Jahre später, erobern die osmanischen Türken Konstantinopel. Das gesamte Schwarze Meer liegt für sie zum Greifen nahe, und damit auch die Krim. Die Osmanen unterstützen den Khan der Krim-Tataren gegen seine Feinde in den eigenen Reihen und nach außen – die Goldene Horde besteht ja noch eine Weile fort. Der türkische Sultan ist klug genug, die Krim nicht restlos zu unterwerfen, sondern das Khanat der Krim-Tataren in einer Art Halb-Selbständigkeit zu belassen (wie ja auch bei den Donau-Fürstentümern Moldau, Walachei und Siebenbürgen). Daraus erwächst eine prinzipielle Aktionseinheit im Kriegsfall, und tatsächlich haben beide Mächte nie ernsthaft die Hand gegeneinander erhoben, sondern sind bei fast allen größeren Unternehmungen gemeinsam gegen den Feind gezogen. Das geschieht gegen Persien, gegen Polen-Litauen, gegen die Kosaken, gegen die Russen und gegen den deutschen Kaiser. Daneben unternehmen die Tataren selbständig (und nicht immer den politischen Wünschen der Türken entsprechend) ihre Raubzüge. Auch später noch stehen die Krim-Tataren den Osmanen bei. Während der Befreiung Bulgariens im Russisch-Türkischen Krieg von 1878 stellen diese Tataren einen großen Teil der Baschi-Basuks, der irregulären Reiterei.


Bild links: Tataren wenden mitten in der Flucht, greifen die auiseinandergezogenen Kürassiere in Überzahl an und umreiten sie, um von allen Seiten auf sie einzudringen.

Steppenkrieger

Die Tataren sind als Abkömmlinge eines Reiterheeres der Steppe natürlich Steppenreiter und kämpfen auch wie ihre Vorfahren seit eh und je (angefangen von den Hunnen, über die Awaren, die Magyaren und schließlich die Mongolen). Dazu gehören sehr viel leichte Reiterei auf wendigen kleinen Pferden und eine Minderheit an gepanzerter Kavallerie mit Lamellenpanzer oder Kettenhemd. Im Fall der Krim-Tataren ist davon, wenn überhaupt, nur letzteres geblieben, eher noch nur eine Kettenpanzer-Kopfhaube mit spitzem Helm. Die leichten Reiter schießen mit dem zusammengesetzten oder Komposit-Bogen, auch „Tataren-„ oder „Türken-Bogen“ genannt. Dieser Bogen (englisch: reflex bow) besteht aus mehreren Schichten Holz, Horn und Tiersehnen, die eigentliche Bogensehne aus Roßhaar. Diese Waffe ist jedem normalen Bogen  an Durchschlagkraft und Reichweite deutlich überlegen; den Langbogen und die Armbrust übertrifft sie an Feuergeschwindigkeit um ein Vielfaches.



ANGRIFF AUF DORF im Überblick (Dorfbewohner in rot, von MARS, ORION, ZVESDA (auch Kanone); Tataren in blau von MARS)


Im Kampf

Mit ihrem Bogen reiten diese beweglichen Reiter an den Feind heran, schießen, wenden und kehren zum nächsten Beschuß zurück. So lange, bis der Feind die Nerven verliert und einzelne sich aus den Reihen lösen, um die Tataren zu bestrafen – und auf diese ungeordneten Verfolger haben die Tataren nur gewartet, sie sind ihnen ein leichtes Ziel. Oder aber, wenn ausreichend Lücken in die gegnerische Formation geschossen sind, stoßen sie mit dem Säbel vor und machen blitzschnell die ungeordneten Überlebenden nieder.

Die zweite wichtige Waffe der Tataren ist der Krummsäbel, aber der von der mongolischen Art. Dieser ist länger und weniger gebogen, so daß man mit ihm nicht nur schlagen, sondern auch stechen kann. Obwohl die Tataren im Zweifelsfall dem Nahkampf mit der Blankwaffe (auch Lanze und Dolch waren in Gebrauch) lieber auswichen, kam es dennoch vor, daß sie auch schon einmal dem Gegner eine Attacke in die Flanke ritten. Mal eben mit dem scharfen Klinge zugeschlagen oder zugestoßen, sich auf ein – kurzes! – Gefecht eingelassen und dann wieder davongalloppiert. Ebenso ist das Lasso den Tataren nicht unbekannt, damit wurde der Gegner aus dem Sattel gerissen.

Die leichten Tataren sind nicht nur wendig, sondern auch in der Lage, über weite Entfernungen zu reiten. In so mancher Schlacht haben die Tataren den Feind weiträumig umgangen, um ihm dann in den Rücken zu fallen … und somit den Osmanen aus der einen oder anderen Verlegenheit zu helfen.

Die wenigen gepanzerten Krieger bilden die erste Reihe beim Säbelangriff oder greifen ein, wenn die leichten Reiter nur scheinbar fliehen, dabei aber den Feind gegen die Kettenpanzer-Tataren führen. Ansonsten dreht sich bei ihnen alles um Schnelligkeit und Beutemachen. Deswegen verzichten sie eher auf Körperschutz – der verlangsamt nur und behindert die Wendigkeit – und auf Gewehre, die ihnen als zu umständlich beim Reiten erscheinen. Außerdem lassen sie sich, ebenso wie die handlicheren Pistolen, viel langsamer laden.

Tataren greifen einen Gegner ungern frontal an, sie fallen ihm lieber in die Flanke, vorwiegend seiner linken, denn es fällt ihnen leichter, mit dem Bogen nach links zu schießen. Den beschießen sie dann so lange, bis … siehe oben. Nur um Gewehrschützen-Formationen und massierte Artillerie machten sie lieber einen Bogen.

Werden die Tataren selbst angegriffen, täuschen sie sofort Flucht vor und beschießen den Feind, indem sie sich im Reiten nach hinten drehen (dies eine Steppen-Taktik, die schon die Skythen der Antike beherrscht hatten). Nach Möglichkeit locken sie ihn dann in einen Hinterhalt, oder, wenn der nicht gegeben ist, reiten ihm davon.


Bild links: ANGRIFF AUF DORF:Tataren sind an einer Stelle durchgebrochen und steigen ab, um in den Enge des Dorfes zu Fuß weiterzukämpfen.

 

Das Tataren-Heer

 

Die Krim-Tataren vermögen an die 50 000 Krieger aufzubieten, haben eine solche Masse aber nie auf einen Feldzug geschickt. Erstens läßt sich eine so große Menge von einer vorindustriellen Kultur kaum länger versorgen, und zweitens muß ja auch die Heimat geschützt werden. Wenn sich alle fernab im Krieg befinden, können die lieben Nachbarn zu leicht in Versuchung geraten, in das schutzlose Gebiet einzufallen. Also dürften sich im Höchstfall 20 000 Tataren an einem großen Feldzug der Osmanen beteiligt haben, darunter auch viele Nogaier, befreundete Nachbarn, die man lieber mitnahm, als sie in Versuchung zu führen … (siehe oben). Bei kleineren Kriegszügen zusammen mit den Osmanen dürfte die Anzahl 6-9000 betragen haben. Und in solcher Stärke werden auch die eigenständigen Raubzüge unternommen.

Bei großen Feldzügen gibt sich auch der Khan die Ehre und führt seine Truppen persönlich an. Ihn umgibt eine Leibgarde von Gepanzerten (hier kann man, mitunter, auch einen Plattenpanzer oder Musketen-Schützen finden, ganz nach Vorliebe des Khans). Diese Truppe greift aber selten genug offensiv in den Kampf ein, sondern tritt lediglich dazu an, das Leben ihres Herrn zu schützen. Der erste Thronfolger (des Khans Bruder oder Sohn) führt den stets stärkeren rechten Flügel an, der zweite Thronfolger den stets schwächeren linken Flügel. Wir haben es hier übrigens mit dem interessanten Fall zu tun, daß der Khan von der Gründung des Khanats bis zu dessen Untergang von ein und derselben Familie gestellt wird, den Girajs (englisch: Giray). Taktische Signale erhielten die Krieger von den Standartenträgern. Dabei handelt es sich um Roßschweife, die am Ende einer Stange befestigt waren.

Auf dem Marsch verblüfft das Tataren-Heer durch seine Schnelligkeit. Wenn sie nicht beutebeladen behindert sind, ist es kaum möglich, sie einzuholen. Hunger und schlechtes Wetter behindern sie nur wenig, wenn ein Feind hinter ihnen her istr, schlagen sie, auch als großer Verband, einen Haken und reiten in eine unerwartete Richtung weiter. Auch vermögen sie durch eine besondere Taktik Flüsse zu überqueren, ohne Brücken darüber zu schlagen: Sie binden ihre Rösser hintereinander Schweif an Zügel an, legen ihre Bögen und Pfeile (die nicht naß werden dürfen) auf den Sattel und führen diesen Pferdezug durchs Wasser, während sie selbst nebenher waten oder schwimmen. Aber am liebsten wählen sie eine Furt, um weniger Zeit zu verlieren.

Die Polen, Russen und Kosaken aber wussten, daß man die Tataren am ehesten auf ihrem Heimzug erwischen konnte. Behindert von Vieh, Sklaven und anderer Beute kamen diese nicht ganz so flott voran wie gewünscht. Deshalb schlugen die Tataren rücksichtlos Sklaven wie Rinder nieder, wenn diese nicht rasch genug mitkamen.

 

Bild links: ANGRIFF AUF DORF aus der Vogelperspektive.


Organisation


Die Krimtataren kannten weder Uniformen noch militärische Einheiten wie Kompanien oder Regimenter – ein Zeitzeuge nannte sie in der englischen Übersetzung „motley assemblage“ (buntgemischter Haufen). Sie waren eher nach den Großfamilien organisiert, denen sie angehörten, und innerhalb dieser nach dem Dezimalsystem gegliedert. Die Großfamilie stellte ein Chambul, die Gesamtheit seiner wehrfähigen Männer (jeder Tatar war ab einem gewissen Alter zum Wehrdienst und damit dazu verpflichtet, zu Feld- oder Raubzügen auszureiten). Je nach Umfang der Großfamilie bestand ein Chambul aus einigen tausend oder nur einigen hundert Kriegern. Eine Zwischenstufe stellte das Torhak dar, das aus mehreren Zehnerschaften bestand. Die kleinste Einheit war die Zehnerschaft und bestand aus engeren Verwandten. Die Tataren kannten weder Offiziere noch Unteroffiziere, die Führerschaft ging mit dem Familienrang einher.

Auf einem Zug fielen den Chambuls verschiedene Aufgaben zu – vom Lagerbau über die Aufklärung bis zu Überfällen auf Dörfer - und zu deren Erledigung schickten sie ihre Torhaks los. Diese konnten sich dann, je nach Art und Umfang des Auftrags, weiter in Zehnerschaften aufteilen. Sobald der Befehl ausgeführt war, kehrten die kleineren zur nächstgrößeren Einheit zurück, und dann zog das Chambul wieder ins Feldlager, um dort die „frischen“ Sklaven einzubringen, die vor dem Weiterverkauf für Schanzarbeiten und ähnliches benötigt wurden – also Arbeiten, zu denen Tataren sich nur ungern herabließen. Das Dezimal-System ist übrigens ein Überbleibsel aus der Zeit des Dschingis Khan, von diesem eingeführt, weil er glaubte, daß zehn Männer einander gut genug kennen sollten, damit kein Spion sich bei ihnen einschleichen könnte.

 

Fußsoldaten


Wir unterscheiden zwei Arten, die abgestiegenen Tatarenreiter und die „Kapikilu“ genannte Leibwache und Garde.

Wenn ein Einbruch in eine Befestigung gelingt (auch die Wagenburgen der Kosaken, Russen und Polen gehören dazu), springen die Tataren vom Pferd und dringen mit ihren Blankwaffen auf die Verteidiger ein. Das kommt gar nicht so selten vor, und meistens sind die Tataren dabei Sieger geblieben. Gegen Steinmauern und dergleichen haben die Tataren kein Mittel gewußt, aber wie wir eingangs schon erfahren haben, wurde ja lange Zeit nur mit Holz gebaut.

Je näher die Kosaken und Russen dem Gebiet der Krim-Tataren kommen (so etwa ab Mitte des 17. Jahrhunderts), desto drängender stellt sich diesen die Frage nach der Verteidigung der eigenen Städte und Dörfer. Der Khan schafft dazu die Kapikilu, eine Truppe, die ihn schützen, aber auch Städte und andere Orte des Khanats verteidigen soll. Diese Einheit soll zeitweise 3000 Mann stark gewesen sein und sich aus Bewohnern des Kaukasus rekrutiert haben. Abbildungen von ihnen existieren nicht, da aber der türkische Sultan für ihre Ausrüstung und Bewaffnung sorgt, darf man vorsichtig davon ausgehen, daß sie den Janitscharen nicht unähnlich gesehen haben – zumal sie diesen auch in der Organisation gleichen. Allerdings ist kein Fall bekannt, in denen sich die Kapikilu an einem Zug außerhalb des Khanats beteiligt haben.

 

Artillerie


Noch seltener war bei den Tataren die Artillerie. Oft genug konnten sie auch in nur schwächer befestigte Orte nicht eindringen oder eine Wagenburg nicht überwinden, weil sie keine Kanonen dabeihatten. Bei wenigen großen Feldzügen führten sie eine handvoll kleinerer Geschütze (aus türkischem Bestand) mit, die sich aber nie bewährten, weil sie entweder bei Flussübergängen absoffen oder vom Gegner erobert wurden (die Tataren kamen einfach mit der viel langsameren Fortbewegungsart des Kanonenziehens nicht zurecht).

Ganz anders sah die Sache bei der Städteverteidigung aus, aber das ist eine ganz andere Geschichte …