Kriege in Osteuropa


Donnerstag, 03. Oktober 2019

Bild links: „Historische Fakten der Schlacht von Hermes“, nennt der unbekannte Künstler seine Schöpfung (Links Russen, rechts Deutsche), und wir freuen uns, daß jemand unsere Version unterstützt.

 


Was bisher geschah:

 

Vor Dorpat haben die Ordenskrieger zwar einen Sieg errungen, aber der hat sie hohe Verluste gekostet, und die können sie sich überhaupt nicht leisten. 1559 wird im Mai Ketler Landmeister des Deutschen Ordens in Livland und bittet gleich Litauen, Polen und Schweden um Hilfe gegen die Russen. Iwan sieht sich durch den Angriff auf Dorpat und der nachfolgenden Belagerung von Lais gezwungen, die Kampfhandlungen wieder zu eröffnen.

 

Im Februar 1560 erobern die Russen Marienburg. Eine starke Armee (unter Mstislawski und Schuisky) zieht vor Fellin, um es einzunehmen. Dank des Gerüchts, von Fürstenberg wolle einen Schatz fortschaffen, zieht Barbaschin mit dem Avantgarde-Regiment der Armee los, ihn abzufangen. Es kommt zur Schlacht bei Ermes.

Als die Pferde müde sind, schlagen die Reiter von Barbaschin am 2. August am Waldrand, wenige Kilometer vom Burg Ermes entfernt, ein Lager auf. Die Truppen der Livländischen Konföderation versammeln sich unter dem Befehl des Landmeisters Marschalls des Deutschen Ordens und des Befehlshabers von Riga, Philip von Boll (deutsch: Philipp Schall von Bell ) in Trikat, um die in Livland einmarschierten russischen Truppen abzuwehren.

 

Und jetzt wird es unübersichtlich. Die Deutschen schicken einen Spähtruppe los und treffen auf einen russischen, den sie überaschen und verjagen können. Die Deutschen reiten ins Lager zurück und alarmieren die eigenen Truppen, daß man auf das russische Heer gestoßen sei, die Ordenskämpfer machen sich sofort auf den Weg und stoßen auf 12 000 Russen. Obwohl man selbst nur 300 Ritter hat, blasen die Ordensleute zum Angriff, und … ja, man wird erwartungsgemäß geschlagen …

 

Aber war es wirklich so?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Bild oben: Das gemeinfreie Gemälde zeigt einen Sturmangriff auf eine Stadt; vorn die Russen, hinten vielleicht Kasan?

 

 

Nikolaj Barlankin

 

Wir haben uns an den russischen Autor Nikolaj Barlankin gewandt, der uns schon einige Male aufgrund seiner Artikel und Essays zu Fragen der russischen Geschichte aufgefallen ist. (Er schreibt auch über andere Themen). Vor allem untersucht er gern Zahlenangaben zu russischen Armeen im 16. und 17. Jahrhundert. Wir haben Glück, er hat sich auch über die Schlacht bei Ermes ausgelassen (in seinem „Schlachten des Livländischen Krieges“), aus dem wir nun zitieren. Barlankin folgt den Angaben des russischen Wikipedia (bei uns kursiv dargestellt) und korrigiert sie, wenn nötig (häufig genug):

 

Schlacht bei Ermes, ereignete sich am 2. August 1560 (julianischer Kalender) … zwischen den Truppen des Livländischen Bundes (330 Reiter) und dem Avantgarde-Regiment der russischen Armee (12 000 Reiter) …

 

Diese Zahlen kann ich nicht durchgehen lassen. 12 000 Reiter sind alles, was die Russen damals an der Westgrenze (nach Livland) stehen hatten.

 

(Man bedenke, daß das Russische Reich im Osten Tataren und im Süden Krim-Tataren und Türken abwehren muß, es können also nicht Streitkräfte gegen Livland marschieren; gar nicht erst zu reden von Garnisonstruppen, die von der Anzahl der Armee abgezogen werden müssen.)

 

Das „Bitbook“ (am ehesten zu übersetzen mit „Entlassungsbuch“ ist ein Verzeichnis aller Befehlshaber von Armeen, Regimentern und so weiter, die zu einem Feldzug vom Zaren als solche bestimmt werden; diese Verzeichnisse sind leider nicht alle erhalten, aber gelten als sehr zuverlässig, da ihre Angaben auch für andere Zwecke herangezogen werden.) nennt für den vorliegenden Feldzug (nach Fellin) 3 Regimenter, das Große (unter Fürst Wassili Iwanowitsch Barbaschin), das Front oder Avantgarde (unter Dmitri Grigorjew) und das Wach- oder Nachhut-Regiment (unter Wassili Borissow). Am 30. August melden die Offiziere und Generäle zurück nach Moskau, daß man Fellin ordnungsgemäß eingenommen und welche weiteren Maßnahmen man in die Wege geleitet habe (auch so etwas steht im „Entlassungsbuch“).

 

In den Entlassungsbüchern werden auch weitere Offiziere genannt, in die Regel die Führer von Hundertschaften (die bis zu 200 Mann stark sein können, seltener bis zu 500). Die Gesamtzahl der Armee beträgt 12 000 Soldaten, die sich wie folgt auf die einzelnen Regimenter verteilen: das Große mit 6-7000 Fußsoldaten (Strelitzen und Kosaken plus der Artillerie), das Avantgare mit 2-3000 leichten Reitern und das Wach-Regiment mit 1,5-2000 schweren Reitern.

 

Bild links: Russische Reiterei, gemeinfreier Holzschnitt

 


Die Ordenstruppen haben es also nur mit 2-3000 Gegnern zu tun. Die „Deutschen“, wie sie von den Russen genannt werden, geben in ihren Listen meistens nur ihre ordentlichen Ordensritter an (wir möchten aber stark bezweifeln, daß man zu jener Zeit überhaupt noch 300 Ritter aufbringen konnte); einige Historiker vermuten, daß damas in Livland noch die spätmittelalterliche „Lanzen“-Ordnung gegolten hat, in der jeder Ritter von 5-9 Mann begleitet worden ist. Ob der Orden diese Organisationsform noch beibehalten hat oder nicht, wissen wir nicht, vor allem weil mittlerweile einige 1000 Söldner - Kürassiere, berittene Arkebusiere und Landsknechte - in seinen Reihen dienen. Gut möglich, daß tatsächlich nur Ordensritter und andere Würdenträger gezählt worden sind, es gibt ja auch noch die „dienenden Brüder“, nichtadlige Bürger und Bauern, die sich die Ausrüstung auf eigene Kosten leisten können und auf Abenteuersuche gezogen sind. Dazu eine Schar Söldner … man darf davon ausgehen, daß beide Gegner in etwa gleich stark gewesen sind.

 

Die Deutschen laufen also der leichten russischen Reiterei in die Arme (russifizierte Tataren, Kosaken und Russen, unter denen Bogenschießen als hohe Kunst gilt), die sich daraufhin zurückzieht. Die Deutschen preschen vor und sehen sich wenig später auf allen Seiten von Pfeil schießenden Russen umgeben (nach Mongolenart). Nun ist es an ihnen, die Flucht zu ergreifen. Dabei werden viele von ihnen erschlagen oder gefangengnommen. Offiziell sprechen die Ordens-Quellen von 261 getöteten Rittern, die Gesamtzahl an Gefallen dürfte ein Vielfaches davon betragen haben, vor allem Fußläufer haben gegen berittene Bogenschützen nicht die geringste Chance.

 

Mit der Schlacht von Ermes ist das militärische Schicksal des Livländischen Ordens entschieden. Der Orden löst sich 1561 auf, und viele „Verbündete“ desselben, die allerdings kaum je einen Finger für ihn gerührt haben, verteilen unter sich die Beute: Polen, Litauen, Dänemark und Schweden.. Ketler, der letzte Landmeister des Ordens, bekehrt sich zum lutherischen Glauben (wohl damit der katholische Orden in Deutschland ihm nichts anhaben kann) und wird Erbherzog des neu geschaffenen Herzogtums Kurland-Semgallen. Die erste Phase des Livländischen Krieges ist abgeschlossen, und in den folgenden über zwei Jahrzehnten schlägt sich Rußland mit den verschiedenen neuen Herren von Livland herum.

 

 

 

In der nächsten Folge

schauen wir mal, was für eine Szene man nachstellen kann.