Kriege in Osteuropa

Donnerstag, 15. Dezember 2016






















Gemeinfreie moderne Darstellung russischer Kavallerie zu Zeiten Iwan IV.

Vorgeschichte

 

Im 13. Jahrhundert erobern die Mongolen Rußland, besetzen die gesamte Steppe bis zur Waldgrenze und machen die dahinter verbliebenen Fürstentümer tributpflichtig. Irgendwann zerfällt das mongolische Riesenreich in mehrere Teil-Staaten, der für Rußland zuständige nennt sich nach dem Zelt seines Oberhauptes “Goldene Horde”. Im 15. Jahrhundert geht auch die Herrschaft des Goldenen Khan zu Ende, und das Khanat zerfällt in mehrere Teilstücke. Moskau, das führende russische Fürstenstum, ist auf mehreren Seiten von Tataren (wie die Nachfahren des Mongolensturms genannnt werden) umringt: Im Osten vom Kasan-, im Südosten (Kaukasus) vom Astrachan- und im Südwesten vom Krim-Khanat. Und jenseits der Krim die Großmacht: Osmanisches Reich. Dazu spielen noch die Nogaier, ein Zusammenschluß von türkischen und mongolischen Stämmen eine Rolle, die meist mit den Krim-Tataren gemeinsame Sache machen, aber gelegentlich auch zu Raubüberfällen bei den Nachbarn neigen. Die Nogaier (nördlich und östlich vom Kaspischen Meer) teilen sich bald in Kleine und Große Nogaier und zersplittern sich in der Folge immer weiter.

Das Verhältnis zwischen Moskau und Kasan verläuft in der Regel gut – mit regem Handelsaustausch -, wenn nicht gerade die Waffen zwischen ihnen sprechen. 1552 können die Moskowiter Kasan erobern und dauerhaft für sich in Besitz nehmen, 1556 ist Astrachan an der Reihe, und spätestens ab jetzt darf man auch von Rußland sprechen, seit Iwan III. (1462-1505) nennen sich die Moskauer Großfürsten Zar. Iwan IV. (1533-1584), der Eroberer von Kasan und Astrachan, wird bei uns und vor allem im englischsprachigen Raum gern mit dem Beinamen “der Schreckliche/the terrible” belegt, wobei es sich jedoch um eine (bewußte oder unbewußte) Fehlübersetzung des russischen Beinamens “Grosny” handelt; Grosny bedeutet eine Eigenschaft zwischen “ehrfurchtgebietend” und “streng”, und das ist nicht ganz dasselbe wie “schrecklich”. Darüber hinaus wird Iwan IV. im Westen immer schon gern so dargestellt wie heute Putin. Dabei ist er einer der wichtigsten und erfolgreichsten Herrscher in der russischen Geschichte.

 

Video der Schlacht bei Molodi, leider nur in russischer Sprache, die Bilder sind aber interessant genug.

 

 

Der Khan der Krim-Tataren sieht sich als Oberhaupt aller Tataren und will die verlorenen Gebieten zurückerobern – die Nogaier spielen längst keine große Rolle mehr. Starke Unterstützung erfährt er vom türkischen Sultan, der selbst gern die lästige russische Konkurrenz ausschalten will. 1571 fallen die Tataren in Rußland ein und dringen bis Moskau vor, das sie in Schutt und Asche legen. Im folgenden Jahr unternehmen die Reiterscharen einen weiteren Raubzug in den Norden und diesmal haben sie nicht nur türkische Feuerkraft dabei (Artillerie und Janitscharen-Schützen), sondern auch jede Menge Hilfstruppen aus den ihnen benachbarten Reitervölkern. Doch die Russen sind jetzt vorbereitet und haben die Grenze gesichert und ihre Süd-Armee ins Vorfeld verlegt, um die Tataren am Fluß Oka aufzuhalten. Die Gegner können diese jedoch überschreiten, und es kommt zur Schlacht von Molodi, wo 60000 tatarische und verbündete Reiter das russische “Wandernde Fort” berennen und sogar vom Pferd steigen und zu Fuß weiterkämpfen, als sie nicht so recht vorankommen. Am Ende fallen ihnen russische Reiter in den Rücken, und zwischen “Hammer” und “Amboß” werden die Tataren zerrieben. Doch davon mehr im Schlachtbericht.

 

Die Schlacht von Molodi gilt als eine der allerwichtigsten für Rußland und letztendlich auch für Europa. Im Fall einer gar nicht so unwahrscheinlichen Niederlage des Zaren, wäre Rußland womöglich im Endeffelt türkisch geworden …

Bild links: Gemeinfreie Photographie der Burg (“Kreml”) von Kolomna, einer russischen Stützpunkte an der Oka.

 

 

 

Heeresstärken

 

Beide Seiten kennen keine Regimenter, und so liegen uns nur Zahlen für die Gesamtheit der Reiter, der Schützen, des sonstigen Fußvolkes und so weiter vor – mit Ausnahmen. Im Gegensatz zu anderen Schlachten jener Epoche können wir uns auf einen russischen Originalbericht, das Razriadnaia kniga, über dessen Verfasser wir leider nichts wissen,  stützen, der auszugsweise in mehreren englischen Texten zu finden ist (und wobei die verschiedenen Autoren auch zu verschiedenen Erkenntnissen gelangen).

 

 

 

 

 

 

 

 

Video um die Schlacht von Molodi, leider nur auf Russisch, aber die Bilder sind interessant und machen Laune aufs Nachspielen.

 

Russen

 

Entgegen allen Fabelzahlen, die durchs Netz geistern (selbst das englischsprachige Wikipedia meldet 60 000 Russen, wobei doch gleichzeitig Krieg um Livland geführt wurde), haben die Russen entlang der Oka gut 20 000 Mann versammelt.

 

Dazu muß man wissen, daß eine russische Armee sich aus fünf Teilen zusammensetzt, die jeweils Polk genannt werden (der deutsche “Pulk” leitet sich davon ab). Es sind dies Vorhut und Nachhut, Linker und Rechter Flügel- und Haupt-oder Großer Polk. Mitunter gibt es noch einen Garde-Polk, eine Aufklärungs-Einheit, und wenn der Zar höchstpersönlich anwesend ist, eine Herrscher-Einheit. Die Polki sind unterschiedlich stark, von der Aufklärung mit unter 2000 bis zum Haupt-Polk mit knapp 6000 Mann. Die anderen Polki haben zwischen 3000 und 4000 Mann unter ihren Fahnen.

 

Im englischsprachigen Raum werden diese Einheiten gern mit Regiment oder Brigade übersetzt, was wir für problematisch halten, Korps gefällt uns besser, weil in den einzelnen Polki ja auch unterschiedliche Gattungen zum Tragen kommen. Die Korps bewegen sich getrennt voneinander, finden aber am Zielort zusammen. Es kann vorkommen, daß nur ein Teil der Polki an einer Schlacht teilnimmt. Die Artillerie stellt in der Theorie einen eigenen Polk dar, wird aber in der Praxis auf die anderen aufgeteilt. Iwan der Ehrfurchtgebietende hat diese Truppenaufteilung eingeführt (neben der Strelitzen als eigentständigen Schützen-Verbänden) und mit ihnen seine vielen Siege, aber auch die Niederlagen errungen. Die Masse der russischen Armee wird von der Reiterei gestellt, aber es gibt auch die Gewehrschützen (Strelitzen)

 

Im einzelnen kommen an der Oka zusammen:

 

-              Haupt-Polk oder Großer Polk (8000 Mann) unter Oberbefehlshaber Worotinskij, steht bei und in Kolomna, zusammen mit 100 Geschützen, dem Großteil der anwesenden russischen Artillerie, 100 nach deutschem Vorbild ausgerüstete und gekleidete Kürassiere aus Livland und 3000 Schützen (Strelitzen) .

 

-              Rechter Flügel (4000 Mann) unter Odojewski in Tarusa.

 

-              Linker Flügel (2000 Mann) unter Repnin in Lopasna.

 

-              Nachhut (2000 Mann) unter Schujski in Kaschira.

 

-              Vorhut (4475 Mann) unter Chworostinin in Kaluga. Eingerechnet sind hier Wiatka-Milizen und 1000 Saporoger Kosaken, die in Ruderbooten die Oka patrouillieren.

 

https://books.google.de/books?id=dQDSAwAAQBAJ&pg=PA133&lpg=PA133&dq=Molodi,+1572&source=bl&ots=l7_ejIbHRi&sig=E470fQb7SIVItZttOp1i4gVkHek&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwj-yaqp0_TQAhUB7BQKHaaiDZcQ6AEIYDAJ#v=onepage&q=Molodi%2C%201572&f=false

 

Eine Karte findet sich hinter diesem Link – einfach auf Seite 134 weiterscrollen -, wir hätten sie gern abgebildet, aber sie ist nicht frei, und bis wir eine Abdruckgenehmigung erhalten würden, würde viel Wasser die Oka hinunterfließen.

 

 

Tataren

 

Dewlet Girai, der Khan höchstpersönlich, führt seine Truppe an, die etwa 60 000 Köpfe zählt (und nicht 120 000, wie das englische Wikipedia phantasiert). 40 000 Reiter stellen die Krim-Tataren, dazu stoßen 20 000

 

Nogaier (große wie kleine), ebenso einige tscherkessische Völker (vor allem die Adygejer aus dem Nordkaukasus) und Türken, die Artillerie und vielleicht 8 Oka Janitscharen (also 8 Kompanien, die Zahl findet sich aber nur an einer Stelle, etwa 1000-1200 Mann). Eine solche Heeresmacht und die noch frische Erinnerung an den „einfachen“ Felddzug im Vorjahr, lassen viele Kasan-Tataren (deren Nachfahren leben heute noch dort, in der Autonomen Republik Tatarstan, östlich von Moskau mit der Hauptstadt Kasan).

 

Ebenso ziehen viele tatarische Kaufleute mit, weil der Khan das gesamte Wolga-Gebiet für sich unterwerfen will, und sie wollen die ersten sein, die sich dort Handelsrechte und -privilegien ergattern.

 

Etliche Photos von russischen Nachsteller (Reenactors)

 

https://www.google.de/search?q=Molodi,+1572&client=firefox-b&biw=1280&bih=565&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=0ahUKEwiZpf_e6erQAhVCdCwKHfpyDEsQ_AUICSgE&dpr=1.5

 

 

Guljai-Gorod

 

Unter Guljai-Gorod versteht man 2-3 m hohe Holzwände auf Rädern oder Kufen, in die Schießscharten eingelassen sind. Sie stellen ein Zwischending zwischen großen Schutzschilden und Kriegswagen dar, können abe weder den einen noch den anderen eindeutig zugeordnet werden. Am ehesten noch sind sie einer Wagenburg verwandt. Die Russen haben sie mitgeführt und dort, wo sie gebraucht wurden, zusammengeschoben (s. Link weiter unten). Die Holzwände bieten Schutz gegen die Pfeil-und-Bogen-bewehrten Reiter der Tataren und gleichzeitig die Möglichkeit, diese zu beschießen. In den eher menschenleeren und städtearmen Landschaften Rußlands und der Steppe ermöglichen sie es dem Nutzer, überall eine Befestigung zu errichten. Diese fahrenden Wände sind im 16. Jahrhundert aufgekommen, und haben sich bis zum Ende des 17. Erhalten. Danach verlieren sie angesichts der verbesserten Feuerwaffen und der größeren Anzahl von Geschützen ihren Sinn. Siehe unter folgendem Link einige Zeichnungen der “wandernden Stadt”:

 

http://images.google.de/imgres?imgurl=http://i.imgur.com/SnbWWBK.png&imgrefurl=http://www.hollilla.com/threader.php%3Fthread%3D3917100&h=299&w=600&tbnid=iq_eO_Fwi1ovvM:&vet=1&tbnh=90&tbnw=181&docid=rZ9nj9Z-q_C2nM&client=firefox-b&usg=__NoO49ED-ZjyLf9B0a3cH7rOd5r4=&sa=X&ved=0ahUKEwj18srZ9-zQAhUEKywKHflTAEkQ9QEINzAE